Vernissage Balkenhol - Hucht
In einer Sonderausstellung mit dem Titel "Auflagen-Objekte" präsentierte die Majolika Arbeiten des weltweit gefragten Künstlers Stephan Balkenhol und der jungen Berliner Künstlerin Anna Lea Hucht, die 2012 den Förderpreis der Majolika-Stiftung für Kunst- und Kulturförderung erhielt.
Stephan Balkenhol, der an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe lehrt und auch dem künstlerischen Beirat der Majolika-Stiftung angehört, überraschte mit einer Wendeschale, die auf der einen Seite ein erhabendes und auf der anderen Seite ein eingeprägtes Porträt zeigt. Anna Lea Hucht setzte ihre ausdrucksstarken Kopfbilder mit neuen Motiven fort: liegende Köpfe, die gleichzeitig als Vase genutzt werden können. Die gezeigten Arbeiten von Stephan Balkenhol und Anna Lea Hucht entstanden im Frühjahr 2014 in der Majolika Manufaktur.
An der Vernissage nahmen zahlreiche Ehrengäste teil. Die Laudatio hielt der Kunsthistoriker Dr. Arthur Mehlstäubler vom Badischen Landesmuseum.
Impressionen der Vernissage Balkenhol - Hucht
von Anne Kup
Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung "Auflage Objekte" von Anna Lea Hucht & Stephan Balkenhol
von Dr. Arthur Mehlstäubler
Meine Damen und Herren,
gleich im ersten Semester meines Studiums der Kunstgeschichte in München – es war 1981 – besuchte ich die Majolika-Manufaktur. Im Rahmen eines Seminars über Keramik sollte ich einen Vortrag über die Geschichte der Werkstatt halten. In meiner Unwissenheit verwechselte ich am Anfang die Majolika- mit der Durlacher Fayence-Manufaktur. Diese hatte aber bereits 1840 ihre Tore geschlossen. So überzeugte ich mich vor Ort, dass die Majolika-Manufaktur noch aktiv war; die Verwaltung befand sich damals in dem Gebäude, das heute das vom Badischen Landesmuseum betriebene Museum beherbergt. Ich bin daher sehr glücklich, hier und heute die Laudatio für diese kleine aber sehr feine Ausstellung zu halten, bewege ich mich doch auf altbekanntem Terrain.
Bestand 1981 die Produktion der Manufaktur noch zum sehr großen Teil aus der Weiterverwendung älterer Modelle, hat sich bis heute sehr viel getan. Die Manufaktur fand erfolgreich wieder die Nähe zu zeitgenössischen Künstlern. Ihre sich in Keramik manifestierten Ideen prägen – übrigens ganz im Sinne des Gründungsgedankens der Manufaktur – ein immer wieder neues Bild des Betriebes nach außen, ein Corporate Design in dauerndem Wandel. Die idealen Vorstellungen der Künstler in der Entwurfsphase auf der einen und ihre oft mangelnde Erfahrung in der technischen Umsetzung ihrer Entwürfe in den keramischen Werkstoff auf der anderen Seite stellen die Manufaktur immer wieder vor neue Herausforderungen. Doch entspringt gerade aus diesem Spannungsverhältnis als Unterschied zum traditionsgebundenen Kunsthandwerk: keramische Kunst.
Es ist bemerkenswert. Die beiden hier ausgestellten Arbeiten von Anna Lea Hucht und Stephan Balkenhol machen deutlich, dass die Begriffe „Tradition“ und „Fortschritt“ in Bezug auf die Majolika-Manufaktur eben keine Marketing-Phrasen sind, sondern tatsächlich noch immer die beiden Beine bilden, mit denen die Manufaktur weiter aufrecht durch die Zeit schreitet.
Meine Damen und Herren, Ladies first, und daher möchte ich gerne bei der Besprechung der beiden hier präsentierten Exponate mit der Arbeit von Anna Lea Hucht beginnen. Die Künstlerin ist eine echte Senkrechtstarterin. Sie studierte von 2000 bis 2005 an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Prof. Erwin Gross, dessen Meisterschülerin sie anschließend wurde. Es folgten erste Einzelausstellungen etwa in Oldenburg, Essen und Bonn. 2008 erhielt sie den renommierten, nur alle drei Jahre vergebenen Horst-Janssen-Grafikpreis, 2011 kam der noch renommiertere HAP-Grieshaber-Preis dazu. Ein Jahr später wurde ihr der Keramik-Förderpreis der Majolika-Stiftung für Kunst und Kulturförderung überreicht.
Die von Anna Lea Hucht favorisierte Maltechnik ist Wasserfarbe auf Papier. Die bevorzugten Motive: einzelne Menschen in Wohn- und Arbeitsräumen. Die Regale und Tische sind voll mit Sammelobjekten wie Figürchen und Fotos und immer wieder: mit Gefäßen, zumeist sind es Vasen. Sie werden akkurat und scheinbar objektiv und sachlich wiedergegeben. Und doch erzählen sie stille Geschichten, sprechen vom innigen Verhältnis der Besitzer und ihrem Besitz: komprimierte, versachlichte Lebenswelten. Die Außenschau auf die Objekte wird zur Innenschau der Besitzer und umgekehrt.
Das Thema „Sehen“ bestimmte auch die Vasen, die Anna Lea Hucht 2007 für die Majolika-Manufaktur schuf. Statt Blumen aufzunehmen und selbst gesehen zu werden blicken sie einen an. Ein appliziertes, offenes Augenpaar schaut den Betrachter irritierend an und fordert zur stillen Kommunikation heraus. Zwischen beiden entsteht ein interaktives Wechselspiel nach dem Motto „Sehen und Gesehen Werden“.
Anna Lea Huchts neue Arbeit für die Majolika-Manufaktur ist wieder ein Gefäß. Und sie behandelt wiederum das Thema „Sehen“, oder hier besser: Nicht-Sehen, denn das Gesicht des Kopfes hat die Augen geschlossen. Die seitlich-ruhende Lage des weiblichen Kopfes verstärkt den Eindruck des Schlafens, der gerade Mund den der Meditation. Den Kopf umwebt wie ein subtiler Schleier ein weltentrückendes Craquelée, und doch: durch die Öffnung dort, wo sonst das Ohr sitzt, nimmt er durch stummes Hören die Umwelt in sich auf: Geräusche werden zu Träumen, Träume fließen zurück in die Welt. Die symbolhafte, kunstgeschichtliche, traditionelle Gleichsetzung von Frau und Gefäß wird hier aus dem eigenen Erleben der Künstlerin heraus völlig neu interpretiert.
Den Wunsch der Künstlerin nach einer besonderen Glasur erfüllte die Manufaktur kompetent und erfolgreich. Sie entwickelte einen farblosen Überzug mit dem besonderen, sogenannten „Schuppencraquelée“. Dessen Sprüngelung darf nicht zu grob und nicht zu fein sein. Damit sie gleichmäßig aufgetragen werden kann und nicht abläuft wird die Glasur nicht wie üblich aufgespritzt, sondern mit dem Pinsel in Handarbeit aufgetragen. Auch die Auflagenhöhe der Skulptur von dreißig Exemplaren verrät kein Massendesign.
Meine Damen und Herren, den Bildhauer Stephan Balkenhol brauche ich nicht groß vorzustellen. Seine Arbeiten sind weltberühmt und in vielen bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. Die aus Wawa-, Zedern-, oder Eichenholz aus dem massiven Baumstamm herausgehauenen, bemalten Holzfiguren standen und stehen in San Francisco, Göteborg oder Malaga. Dort zogen und ziehen sie auf spektakulär unspektakuläre Weise auch auf großen Plätzen weithin Aufmerksamkeit auf sich. Sie gehören inzwischen ähnlich wie die Schöpfung eines anderen Karlsruher Künstlers, dem Kopffüßler von Horst Antes, zum kollektiven Gedächtnis der Kunstwelt.
Ich war sehr gespannt, zu sehen, welche Arbeit Stephan Balkenhol für die Majolika-Manufaktur geschaffen hat. Der Künstler arbeitet bevorzugt in Holz und meint über sich selbst „Ich bin eher Bildhauer als Plastiker“; herausgekommen ist schließlich doch ein „Echter Balkenhol“.
Der Künstler kreierte eine Wendeschale. Zwei gleichförmige Schalen mit trichterartiger Wandung wurden an ihrem flachen Boden zusammengefügt. Die eine hat ihre Öffnung oben, die andere unten. Die obere, die die Hauptseite zeigt, ist aus dunkelbraun bis anthrazitfarbenem Manganton gearbeitet, die untere aus hellbeigefarbenem Drehton. Im Spiegel der Hauptschale erscheint ein männlicher, als Flachrelief ausgearbeiteter Kopf im Viertelprofil. Aufgemalter und mit dem Schwamm stellenweise wieder abgewischter Schlickerton erzeugt zusätzliche Plastizität. Mit offenen, wachen Augen blickt das Gesicht geradeaus. Seine Lebendigkeit und Diesseitigkeit irritieren, sind wir es doch gewöhnt, in ähnlichen Schalen mit künstlerischer Relevanz den Kopf des toten Johannes des Täufers zu sehen. Aber Balkenhols Gefäß ist auch keine übliche Schale. Es ist ein freies Kunstobjekt. Denn dreht man die Schale um, sieht man auf der anderen Seite denselben Kopf, doch jetzt mit umgekehrter Farbigkeit und im Tiefrelief gearbeitet. Stephan Balkenhol macht die Keramik durchlässig. Seine räumliche Vorstellungskraft durchdringt dieses dichte Material wie eine Membran. Die Kühle der Schalenform, des Materials und der Farbe schafft die dazu nötige, geistige Distanz. Die aristotelische Forderung nach der Einheit von Zeit, Raum und Handlung unserer Wahrnehmung findet in Balkenhols Werk eine neue, surreale Erfüllung.
Meine Damen und Herren, die organisch geformte Arbeit von Anna Lea Hucht und die technoide von Stephan Balkenhol sind nur auf den ersten Blick grundverschieden. Aber beide verarbeiten das Thema des Sehens – wenn auch jeder auf seine Weise: Der traumhaften Innenschau von Hucht steht die wache Außenschau Balkenhols gegenüber.
Mit den beiden Arbeiten führte der von Künstlern und den Keramiktechnikern der Majolika-Manufaktur gemeinsam begangene Weg einmal mehr zum Ziel. Und wieder einmal hat sich der Spruch Max Laeugers, über den es ab Juni im Badischen Landesmuseum eine große, von mir kuratierte Ausstellung gibt, als wahr erwiesen: dass „Der einfachste, ärmste und reichste unter allen Werkstoffen … der Ton“ ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!